Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.
(BDP) bezieht hiermit Stellung gegen die Kürzung des § 20 SGB
V um "Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung":
1. Die Gesundheitsförderung und Prävention
sind politisch und gesellschaftlich zu unterstützen, um die Kosten
bei den Krankenkassen und der Wirtschaft zu senken.
2. Die Krankenkassen haben mit Hilfe von Psychologinnen
und Psychologen positive Strukturen und Aktivitäten im Bereich der
Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt.
3. Der Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention
bedarf einer vielfältigen Weiterentwicklung im Sinne der WHO-Strategie
"Gesundheit für alle".
4. Der BDP bietet den Krankenkassen und allen weiteren
Institutionen Kooperation zur Qualitätssicherung von Leistungen zur
Gesundheitsförderung und Prävention an.
5. Die Kürzung des § 20 SGB V ist ein Schritt
in die falsche Richtung.
Zusammenfassung >
Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt bestehen.
1. Die Gesundheitsförderung und Prävention
sind politisch und gesellschaftlich zu unterstützen, um die Kosten
bei den Krankenkassen und der Wirtschaft zu senken.
Dafür sprechen
- viele Erkenntnisse der verschiedenen Gesundheitswissenschaften,
- viele empirische Untersuchungen zur Effektivität von Leistungen
zur Gesundheitsförderung und Prävention einschließlich
ihrer kostenmäßigen Effizienz, wobei ein großer Teil der
Untersuchungen durch Institute für psychologische Forschung durchgeführt
wurde,
- viele gesundheitspolitische Aussagen der Bundesregierung, z.B. in
den Schriften "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge"
des Bundesgesundheitsministeriums (1993, Informationsschrift und Kongreßbericht
mit einer lesenswerten Rede von Herrn Minister Seehofer), in der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion "Prävention
in der Gesundheitspolitik" im Deutschen Bundestag (BT-Drucksache 12/8238,
1994) sowie in der Studie "Gesundheit und Schule" des Bundesministeriums
für Bildung und Wissenschaft (1994), das Gutachten "Gesundheitsversorgung
und Krankheitsversicherung 2000" des Sachverständigenrates für
die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (1994) und nicht zuletzt
- die auch von der Bundesregierung als richtungweisend anerkannten
Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation, die in einer positiv orientierten
biopsychosozialen Gesundheitsdefinition, in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung
und in der für Europa entwickelten langfristigen Strategie "Gesundheit
für alle" bestehen.
Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt bestehen.
2. Die Krankenkassen haben mit Hilfe von Psychologinnen
und Psychologen positive Strukturen und Aktivitäten im Bereich der
Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt.
Seit über einem Jahrzehnt entwickeln Krankenkassen, auch in Zusammenarbeit
mit Psychologinnen und Psychologen, Strukturen und Leistungen im Bereich
der Gesundheitsförderung und Prävention.
Psychologinnen und Psychologen sind teilweise direkte Mitarbeiter in
verantwortungsvollen Positionen bei den Krankenkassen; teilweise arbeiten
sie über Institute der psychologischen Forschung mit Krankenkassen
zusammen. Darüberhinaus führen sie vor allem freiberuflich viele
Streßbewältigungs-, Entspannungs- und Nichtrauchertrainings
für Krankenkassen durch.
Mit Hilfe von Psychologinnen und Psychologen sind z.B. von den Krankenkassen
standardisierte Gesundheitsprogramme konzeptuell entwickelt, Kursleiter-Schulungen
dazu durchgeführt und für die Versicherten der Krankenkassen
Kurse durchgeführt und evaluiert worden. Evaluationen zeigten bisher
positive Ergebnisse hinsichtlich der Effektivität und Effizienz von
Krankenkassenleistungen.
Z.B. hat schon in den 80er Jahren die Zusammenarbeit der AOK Mettmann
mit dem Institut für Therapieforschung - die Zusammenarbeit wurde
auf beiden Seiten durch Psychologen hergestellt - zur Entwicklung und Evaluation
von standardisierten Gesundheitsprogrammen geführt, und die positiven
Ergebnisse haben u.a. zur Einführung des § 20 ins SGB V beigetragen.
Viele Krankenkassen haben in den letzten Jahren ihre Infrastrukturen
zugunsten der Gesundheitsförderung und Prävention verbessert,
z.B. durch die Einrichtung von entsprechenden Abteilungen in vielen überregionalen
und regionalen Geschäftsstellen. Dadurch, und weniger durch die vorhandenen,
mehr marketing- als qualitätsorientierten und daher zu kritisierenden
Angebote, sind die Kosten für die Gesundheitsförderung und Prävention
seit 1992 deutlich gestiegen.
Der BDP befürwortet ausdrücklich die Aktivitäten der
Krankenkassen
- im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Verhütung
arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, weil die Effizienz entsprechender
Maßnahmen nachgewiesen ist und weil Psychologinnen und Psychologen
dabei in vielfältige interdisziplinäre Projekte eingebunden sind,
- im Bereich der schulischen Gesundheitsförderung, u.a. die vertraglich
gesicherte Bereitschaft einer großen Krankenkasse, das WHO-Projekt
'Gesundheitsfördernde Schulen' nach Auslauf der Modellphase finanziell
weiter zu unterstützen sowie
- im Bereich der Unterstützung von Selbsthilfegruppen, wobei
in diesem Feld eine stärkere Aktivität der Krankenkassen sinnvoll
erscheint.
Der BDP begrüßt es, daß im Änderungsantrag der
Regierungsfraktionen die Leistungen der Krankenkassen in den Bereichen „Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren" und „Unterstützung
von Selbsthilfegruppen" befürwortet werden; in beiden Bereichen sollten
die Krankenkassen aktiver werden.
Andererseits haben Psychologinnen und Psychologen in der Zusammenarbeit
mit Krankenkassen auch öfters enttäuschend erfahren, daß
für Krankenkassen eine marketingorientierte Vielfalt von Angeboten
mit dem Ziel, möglichst viele Mitglieder zu werben oder zufriedenzustellen,
manchmal wichtiger ist als die Konzentration auf qualitätsmäßig
begründete Maßnahmen mit gut ausgebildeten KursleiterInnen.
Von daher begrüßt der BDP eindeutig eine stärkere Qualitätsorientierung
bei den Leistungen der Krankenkassen zur Gesundheitsförderung und
Prävention.
Die Bundesregierung stellt in ihrer Antwort zur "Prävention in
der Gesundheitspolitik" (BT-Drucksache 12/8238) die Aktivitäten der
Krankenkassen für die Gesundheitsförderung und Prävention
überwiegend positiv dar:
"Alle Krankenkassenarten haben zur Gesundheitsförderung Strategiepapiere
entwickelt, die sich auch an den in der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation
formulierten Zielen orientieren.Die Strategiepapiere der Kassen gehen in
der Gesundheitsförderung über die Erreichung von mehr Gesundheitskompetenz
beim einzelnen Bürger hinaus und beziehen Möglichkeiten gesundheitsadäquater
Gestaltung der ökologischen und sozialen Umwelt mit ein, soweit dies
die Handlungsspielräume der jeweiligen Kassenart zulassen. Die Gesundheitsförderungsstrategien
umfassen Angebote zur Verhaltens-, aber auch Verhältnisprävention,
auf Zielgruppen orientierte Angebote, die den unterschiedlichen Lebensweisen
und Bedürfnislagen der Versicherten Rechnung tragen. Die Qualität
der Angebote wird durch Einsatz von qualifiziertem Personal gewährleistet."
(S. 35)
3. Der Bereich der Gesundheitsförderung und
Prävention bedarf einer vielfältigen Weiterentwicklung im Sinne
der WHO-Strategie "Gesundheit für alle".
Der BDP unterstützt die Strategie "Gesundheit für alle" der
Weltgesundheitsorganisation. Psychologinnen und Psychologen sind im Sinne
dieser Strategie berufstätig.
Der BDP unterstützt insbesondere
- a)die positive biopsychosoziale Gesundheitsorientierung
Aus psychologischen Erkenntnissen und Erfahrungen heraus betont der
BDP die Perspektive der Gesundheitsförderung mit der Orientierung
auf positive Gesundheitsziele: Es ist, auch zur Vorbeugung und Behandlung
von Störungen, erfolgversprechend und zufriedenstellend, positive
Perspektiven im Denken und Handeln anzuzielen und zu erreichen die Orientierung
auf positive Gesundheitsziele ist erfolgversprechender als die Orientierung
auf Krankheitsbedrohungen.
In diesem Sinne unterstützt der BDP den in der Studie "Gesundheit
und Schule" des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (1994)
befürworteten 'Paradigmenwechsel' von der Prävention zur Gesundheitsförderung
bzw. vom Risikofaktorenmodell zum Lebensweisenkonzept sowie die folgenden
Aussagen dieser Studie:
"Förderung der Gesundheit verlangt sowohl die individuelle
Entwicklung und Förderung entsprechender Kompetenzen als auch die
Gestaltung entsprechender Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen. Somit
bedeutet der Paradigmenwechsel von den Risikofaktoren zur Gesundheitsförderung
ein völliges Umdenken. Eine zukunftsorientierte Gesundheitsbildung
bedarf einer gänzlich neuen, ganzheitlichen Grundlegung." (S. 2)
Insofern setzt sich der BDP auch für ein Umdenken in der bisher
krankheitsorientierten Gesundheitspolitik ein und für eine Neuorientierung
in der Gesundheitspolitik im Sinne der WHO-Strategie "Gesundheit für
alle".
- b) das Ziel "Chancengleichheit im Gesundheitsbereich"
Im Sinne dieses in der WHO-Strategie besonders betonten Zieles befürwortet
der BDP, daß die Krankenkassen spezifischen, gesundheitlich besonders
gefährdeten Zielgruppen - die Bundesregierung benennt in der Antwort
zur "Prävention in der Gesundheitspolitik" z.B.: Jugendliche mit abgebrochener
Ausbildung, junge Arbeitslose, unverheiratete Mütter mit Kleinkindern,
Berufstätige mit hohen Arbeitsbelastungen sowie alleinstehende, isoliert
lebende Menschen in der Altersgruppe ab 70 - qualitätsgeprüfte
Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention kostenfrei
und ohne Beitragserhöhung anbieten, damit die Schwellen der Inanspruchnahme
von entsprechenden Leistungen niedrig und für betroffene Menschen
zugänglich bleiben.
4. Der BDP bietet den Krankenkassen und allen weiteren
Institutionen Kooperation zur Qualitätssicherung von Leistungen zur
Gesundheitsförderung und Prävention an.
Der BDP setzt sich insgesamt ein
- für eine Verbesserung bzw. Qualitätssicherung von Angeboten
zur Gesundheitsförderung und Prävention,
- für eine Vermehrung qualitätsgesicherter Angebote in allen
gesellschaftlichen Bereichen und
- für eine Unterstützung dieser Bestrebungen durch die gesamte
Politik, ganz im Sinne der WHO-Strategie 'Gesundheit für alle'.
Der BDP beabsichtigt, die Kooperation mit den Krankenkassen zum Zweck
einer verbesserten Qualitätssicherung im Bereich der Gesundheitsförderung
und Prävention weiter auszubauen. Weiterhin sind der BDP und Institute
psychologischer Forschung bereit, mit Bundes- und Landesministerien sowie
mit weiteren wichtigen Organisationen und Verbänden Kooperationen
zugunsten der Qualitätssicherung für Leistungen zur Gesundheitsförderung
und Prävention aufzubauen und zu pflegen.
5. Die Kürzung des § 20 SGB V ist ein Schritt
in die falsche Richtung.
Es ist ein Schritt in die falsche Richtung, den von den Krankenkassen
aufgebauten Strukturen die gesetzlichen und finanziellen Grundlagen zu
entziehen.
Während die Bundesregierung bis 1994 sehr anerkennenswerte Aussagen
zur wichtigen Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention
für die Gesundheitspolitik gemacht hat (Quellenhinweise unter 1.,
Zitate unter 2. + 3.), die auf ein differenziertes Verständnis hinweisen,
wirken die Begründungen zur Kürzung des § 20 SBG V sehr
kurzsichtig und eindeutig rückschrittlich gegenüber den bisherigen
Aussagen.
Die Bundesregierung weiß doch eigentlich, daß die Steigerung
der Ausgaben der Krankenkassen zugunsten der Gesundheitsförderung
und Prävention seit 1992 (von 0,7 Mrd. DM auf 1,3 Mrd. DM) vor allem
auf die verbesserten Infrastrukturen, auf die Ausdehnung sinnvoller Leistungen
sowie auch auf noch eher spärliche Bemühungen zur Qualitätssicherung
zurückzuführen ist (vgl. Zitat unter 2.) und nur geringfügig
auf die vorhandenen 'schwarzen Schafe' der fragwürdigen, mehr marketing-
als qualitätsorientierten Angebote.
Zusammenfassung:
Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt
bestehen.
Daher sind vorhandene Ansätze durch mehr Qualitätssicherung
zu verbessern, aber nicht zu eliminieren.
Die in den Krankenkassen geschaffenen Strukturen und viele ihrer angebotenen
Leistungen sind weiterhin zu unterstützen, positiv zu nutzen und noch
mehr an Perspektiven der WHO-Strategie "Gesundheit für alle" und der
Qualitätssicherung zu orientieren.
Die gesamte Politik hat eine Verantwortung für die Weiterentwicklung
von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention.Die Entwicklung,
Durchführung und Qualitätssicherung von Leistungen zur Gesundheitsförderung
und Prävention ist nicht nur eine Aufgabe von Krankenkassen im Rahmen
ihrer Regelleistungen und nicht nur eine Aufgabe der Gesundheitspolitik,
sondern auch eine Aufgabe der Bildungs-, Familien-, Sozial- und Jugendpolitik
im Bund und in den Ländern sowie der Kommunalpolitik.
Insofern ist es begrüßenswert, daß sich alle Politiker
des Bundestages und des Bundesrates damit auseinandersetzen, wie sie den
sehr vielfältigen Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention
künftig sichern, unterstützen und fördern wollen.
Zur politischen Unterstützung des Bereiches der Gesundheitsförderung
und Prävention gehört es,
- die bisherigen Strukturen und Aktivitäten, die vor allem bei
den Krankenkassen in den letzten Jahren gewachsen sind, zu nutzen und zu
verbessern sowie
- ergänzend weitere Strukturen und Aktivitäten zugunsten
der Gesundheitsförderung und Prävention über andere Institutionen
des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens zu fördern, um dadurch
die Krankenkassen zu entlasten.
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