Seite erstellt am 18.08.1998
 Seite aktualisiert am 27.03.2017

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BDP-Resolution zum Abbau von "Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung" (1996)

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) bezieht hiermit Stellung gegen die Kürzung des § 20 SGB V um "Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung":

1. Die Gesundheitsförderung und Prävention sind politisch und gesellschaftlich zu unterstützen, um die Kosten bei den Krankenkassen und der Wirtschaft zu senken. 

2. Die Krankenkassen haben mit Hilfe von Psychologinnen und Psychologen positive Strukturen und Aktivitäten im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt. 

3. Der Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention bedarf einer vielfältigen Weiterentwicklung im Sinne der WHO-Strategie "Gesundheit für alle". 

4. Der BDP bietet den Krankenkassen und allen weiteren Institutionen Kooperation zur Qualitätssicherung von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention an. 

5. Die Kürzung des § 20 SGB V ist ein Schritt in die falsche Richtung. 

Zusammenfassung >  
Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt bestehen. 
  


1. Die Gesundheitsförderung und Prävention sind politisch und gesellschaftlich zu unterstützen, um die Kosten bei den Krankenkassen und der Wirtschaft zu senken. 

Dafür sprechen 

  • viele Erkenntnisse der verschiedenen Gesundheitswissenschaften, 
  • viele empirische Untersuchungen zur Effektivität von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention einschließlich ihrer kostenmäßigen Effizienz, wobei ein großer Teil der Untersuchungen durch Institute für psychologische Forschung durchgeführt wurde, 
  • viele gesundheitspolitische Aussagen der Bundesregierung, z.B. in den Schriften "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge"  des Bundesgesundheitsministeriums (1993, Informationsschrift und Kongreßbericht mit einer lesenswerten Rede von Herrn Minister Seehofer), in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion "Prävention in der Gesundheitspolitik" im Deutschen Bundestag (BT-Drucksache 12/8238, 1994) sowie in der Studie "Gesundheit und Schule" des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (1994), das Gutachten "Gesundheitsversorgung und Krankheitsversicherung 2000" des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (1994) und nicht zuletzt 
  • die auch von der Bundesregierung als richtungweisend anerkannten Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation, die in einer positiv orientierten biopsychosozialen Gesundheitsdefinition, in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung und in der für Europa entwickelten langfristigen Strategie "Gesundheit für alle" bestehen. 

Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt bestehen. 

 

2. Die Krankenkassen haben mit Hilfe von Psychologinnen und Psychologen positive Strukturen und Aktivitäten im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt. 

Seit über einem Jahrzehnt entwickeln Krankenkassen, auch in Zusammenarbeit mit Psychologinnen und Psychologen, Strukturen und Leistungen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention. 

Psychologinnen und Psychologen sind teilweise direkte Mitarbeiter in verantwortungsvollen Positionen bei den Krankenkassen; teilweise arbeiten sie über Institute der psychologischen Forschung mit Krankenkassen zusammen. Darüberhinaus führen sie vor allem freiberuflich viele Streßbewältigungs-, Entspannungs- und Nichtrauchertrainings für Krankenkassen durch. 

Mit Hilfe von Psychologinnen und Psychologen sind z.B. von den Krankenkassen standardisierte Gesundheitsprogramme konzeptuell entwickelt, Kursleiter-Schulungen dazu durchgeführt und für die Versicherten der Krankenkassen Kurse durchgeführt und evaluiert worden. Evaluationen zeigten bisher positive Ergebnisse hinsichtlich der Effektivität und Effizienz von Krankenkassenleistungen. 

Z.B. hat schon in den 80er Jahren die Zusammenarbeit der AOK Mettmann mit dem Institut für Therapieforschung - die Zusammenarbeit wurde auf beiden Seiten durch Psychologen hergestellt - zur Entwicklung und Evaluation von standardisierten Gesundheitsprogrammen geführt, und die positiven Ergebnisse haben u.a. zur Einführung des § 20 ins SGB V beigetragen. 

Viele Krankenkassen haben in den letzten Jahren ihre Infrastrukturen zugunsten der Gesundheitsförderung und Prävention verbessert, z.B. durch die Einrichtung von entsprechenden Abteilungen in vielen überregionalen und regionalen Geschäftsstellen. Dadurch, und weniger durch die vorhandenen, mehr marketing- als qualitätsorientierten und daher zu kritisierenden Angebote, sind die Kosten für die Gesundheitsförderung und Prävention seit 1992 deutlich gestiegen. 

Der BDP befürwortet ausdrücklich die Aktivitäten der Krankenkassen 

  • im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, weil die Effizienz entsprechender Maßnahmen nachgewiesen ist und weil Psychologinnen und Psychologen dabei in vielfältige interdisziplinäre Projekte eingebunden sind, 
  • im Bereich der schulischen Gesundheitsförderung, u.a. die vertraglich gesicherte Bereitschaft einer großen Krankenkasse, das WHO-Projekt 'Gesundheitsfördernde Schulen' nach Auslauf der Modellphase finanziell weiter zu unterstützen sowie 
  • im Bereich der Unterstützung von Selbsthilfegruppen, wobei in diesem Feld eine stärkere Aktivität der Krankenkassen sinnvoll erscheint. 

Der BDP begrüßt es, daß im Änderungsantrag der Regierungsfraktionen die Leistungen der Krankenkassen in den Bereichen  „Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren" und „Unterstützung von Selbsthilfegruppen" befürwortet werden; in beiden Bereichen sollten die Krankenkassen aktiver werden. 

Andererseits haben Psychologinnen und Psychologen in der Zusammenarbeit mit Krankenkassen auch öfters enttäuschend erfahren, daß für Krankenkassen eine marketingorientierte Vielfalt von Angeboten mit dem Ziel, möglichst viele Mitglieder zu werben oder zufriedenzustellen, manchmal wichtiger ist als die Konzentration auf qualitätsmäßig begründete Maßnahmen mit gut ausgebildeten KursleiterInnen. Von daher begrüßt der BDP eindeutig eine stärkere Qualitätsorientierung bei den Leistungen der Krankenkassen zur Gesundheitsförderung und Prävention. 

Die Bundesregierung stellt in ihrer Antwort zur "Prävention in der Gesundheitspolitik" (BT-Drucksache 12/8238) die Aktivitäten der Krankenkassen für die Gesundheitsförderung und Prävention überwiegend positiv dar: 
"Alle Krankenkassenarten haben zur Gesundheitsförderung Strategiepapiere entwickelt, die sich auch an den in der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation formulierten Zielen orientieren.Die Strategiepapiere der Kassen gehen in der Gesundheitsförderung über die Erreichung von mehr Gesundheitskompetenz beim einzelnen Bürger hinaus und beziehen Möglichkeiten gesundheitsadäquater Gestaltung der ökologischen und sozialen Umwelt mit ein, soweit dies die Handlungsspielräume der jeweiligen Kassenart zulassen. Die Gesundheitsförderungsstrategien umfassen Angebote zur Verhaltens-, aber auch Verhältnisprävention, auf Zielgruppen orientierte Angebote, die den unterschiedlichen Lebensweisen und Bedürfnislagen der Versicherten Rechnung tragen. Die Qualität der Angebote wird durch Einsatz von qualifiziertem Personal gewährleistet." (S. 35) 

 

3. Der Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention bedarf einer vielfältigen Weiterentwicklung im Sinne der WHO-Strategie "Gesundheit für alle". 

Der BDP unterstützt die Strategie "Gesundheit für alle" der Weltgesundheitsorganisation. Psychologinnen und Psychologen sind im Sinne dieser Strategie berufstätig. 

Der BDP unterstützt insbesondere 

  • a)die positive biopsychosoziale Gesundheitsorientierung 

    Aus psychologischen Erkenntnissen und Erfahrungen heraus betont der BDP die Perspektive der Gesundheitsförderung mit der Orientierung auf positive Gesundheitsziele: Es ist, auch zur Vorbeugung und Behandlung von Störungen, erfolgversprechend und zufriedenstellend, positive Perspektiven im Denken und Handeln anzuzielen und zu erreichen die Orientierung auf positive Gesundheitsziele ist erfolgversprechender als die Orientierung auf Krankheitsbedrohungen. 

    In diesem Sinne unterstützt der BDP den in der Studie "Gesundheit und Schule" des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (1994) befürworteten 'Paradigmenwechsel' von der Prävention zur Gesundheitsförderung bzw. vom Risikofaktorenmodell zum Lebensweisenkonzept sowie die folgenden Aussagen dieser Studie: 
    "Förderung der Gesundheit verlangt sowohl die individuelle Entwicklung und Förderung entsprechender Kompetenzen als auch die Gestaltung entsprechender Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen. Somit bedeutet der Paradigmenwechsel von den Risikofaktoren zur Gesundheitsförderung ein völliges Umdenken. Eine zukunftsorientierte Gesundheitsbildung bedarf einer gänzlich neuen, ganzheitlichen Grundlegung." (S. 2) 

    Insofern setzt sich der BDP auch für ein Umdenken in der bisher krankheitsorientierten Gesundheitspolitik ein und für eine Neuorientierung in der Gesundheitspolitik im Sinne der WHO-Strategie "Gesundheit für alle". 

  • b) das Ziel "Chancengleichheit im Gesundheitsbereich" 

    Im Sinne dieses in der WHO-Strategie besonders betonten Zieles befürwortet der BDP, daß die Krankenkassen spezifischen, gesundheitlich besonders gefährdeten Zielgruppen - die Bundesregierung benennt in der Antwort zur "Prävention in der Gesundheitspolitik" z.B.: Jugendliche mit abgebrochener Ausbildung, junge Arbeitslose, unverheiratete Mütter mit Kleinkindern, Berufstätige mit hohen Arbeitsbelastungen sowie alleinstehende, isoliert lebende Menschen in der Altersgruppe ab 70 - qualitätsgeprüfte Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention kostenfrei und ohne Beitragserhöhung anbieten, damit die Schwellen der Inanspruchnahme von entsprechenden Leistungen niedrig und für betroffene Menschen zugänglich bleiben. 

 

4. Der BDP bietet den Krankenkassen und allen weiteren Institutionen Kooperation zur Qualitätssicherung von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention an. 

Der BDP setzt sich insgesamt ein 

  • für eine Verbesserung bzw. Qualitätssicherung von Angeboten zur Gesundheitsförderung und Prävention, 
  • für eine Vermehrung qualitätsgesicherter Angebote in allen gesellschaftlichen Bereichen und 
  • für eine Unterstützung dieser Bestrebungen durch die gesamte Politik, ganz im Sinne der WHO-Strategie 'Gesundheit für alle'. 

Der BDP beabsichtigt, die Kooperation mit den Krankenkassen zum Zweck einer verbesserten Qualitätssicherung im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention weiter auszubauen. Weiterhin sind der BDP und Institute psychologischer Forschung bereit, mit Bundes- und Landesministerien sowie mit weiteren wichtigen Organisationen und Verbänden Kooperationen zugunsten der Qualitätssicherung für Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention aufzubauen und zu pflegen. 

5. Die Kürzung des § 20 SGB V ist ein Schritt in die falsche Richtung. 

Es ist ein Schritt in die falsche Richtung, den von den Krankenkassen aufgebauten Strukturen die gesetzlichen und finanziellen Grundlagen zu entziehen.

Während die Bundesregierung bis 1994 sehr anerkennenswerte Aussagen zur wichtigen Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention für die Gesundheitspolitik gemacht hat (Quellenhinweise unter 1., Zitate unter 2. + 3.), die auf ein differenziertes Verständnis hinweisen, wirken die Begründungen zur Kürzung des § 20 SBG V sehr kurzsichtig und eindeutig rückschrittlich gegenüber den bisherigen Aussagen. 

Die Bundesregierung weiß doch eigentlich, daß die Steigerung der Ausgaben der Krankenkassen zugunsten der Gesundheitsförderung und Prävention seit 1992 (von 0,7 Mrd. DM auf 1,3 Mrd. DM) vor allem auf die verbesserten Infrastrukturen, auf die Ausdehnung sinnvoller Leistungen sowie auch auf noch eher spärliche Bemühungen zur Qualitätssicherung zurückzuführen ist (vgl. Zitat unter 2.) und nur geringfügig auf die vorhandenen 'schwarzen Schafe' der fragwürdigen, mehr marketing- als qualitätsorientierten Angebote.

Zusammenfassung: 

Die "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" bleibt bestehen.  

Daher sind vorhandene Ansätze durch mehr Qualitätssicherung zu verbessern, aber nicht zu eliminieren. 

Die in den Krankenkassen geschaffenen Strukturen und viele ihrer angebotenen Leistungen sind weiterhin zu unterstützen, positiv zu nutzen und noch mehr an Perspektiven der WHO-Strategie "Gesundheit für alle" und der Qualitätssicherung zu orientieren. 

Die gesamte Politik hat eine Verantwortung für die Weiterentwicklung von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention.Die Entwicklung, Durchführung und Qualitätssicherung von Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention ist nicht nur eine Aufgabe von Krankenkassen im Rahmen ihrer Regelleistungen und nicht nur eine Aufgabe der Gesundheitspolitik, sondern auch eine Aufgabe der Bildungs-, Familien-, Sozial- und Jugendpolitik im Bund und in den Ländern sowie der Kommunalpolitik. 

Insofern ist es begrüßenswert, daß sich alle Politiker des Bundestages und des Bundesrates damit auseinandersetzen, wie sie den sehr vielfältigen Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention künftig sichern, unterstützen und fördern wollen. 

Zur politischen Unterstützung des Bereiches der Gesundheitsförderung und Prävention gehört es, 

  • die bisherigen Strukturen und Aktivitäten, die vor allem bei den Krankenkassen in den letzten Jahren gewachsen sind, zu nutzen und zu verbessern sowie 
  • ergänzend weitere Strukturen und Aktivitäten zugunsten der Gesundheitsförderung und Prävention über andere Institutionen des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens zu fördern, um dadurch die Krankenkassen zu entlasten.