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Tagung „’Gesundheit für alle’ in Europa - Ziele der
Weltgesundheitsorganisation - Beiträge deutscher PsychologInnen“ am 03. -
04. 10. 1997 in Würzburg
Im Konsultationsprozess zur Erneuerung der Ziele "Gesundheit für alle" (GFA-Politik) hat der Arbeitskreis ‘Psychologische Gesundheitsförderung und Prävention’ der Sektion Klinische Psychologie des BDP
(als Vorläufer des Fachbereiches Gesundheitspsychologie in der Sektion GUS) in Zusammenarbeit mit dem WHO-Euro-Mitarbeiter Rüdiger Krech
10/1997 die o.g. Tagung durchgeführt.
Am ersten Tag der Tagung ging es um eine Bestandsaufnahme der Berufstätigkeit von PsychologInnen für die
Zielsetzungen der „Gesundheit für alle". In 8 Referaten stellten PsychologInnen
ihre Arbeit zur Unterstützung der WHO-Ziele dar: ihre Arbeit mit Kindern und
Familien, in der schulischen, betrieblichen und kommunalen Gesundheitsförderung,
in der interdisziplinären Fortbildung für Gesundheitsförderung sowie für
europäische Entwicklungen der Gesundheitspsychologie.
Rüdiger Krech referierte über den durch das WHO-Regionalbüro
für Europa erarbeiteten Erneuerungsprozeß der Zielstrategie
„Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert".
Ausführlich wurde diskutiert:
Welche psychologischen Aspekte sind beim laufenden Erneuerungsprozeß
mehr zu berücksichtigen? Wie PsychologInnen können die Verwirklichung
der Zielstrategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert" vorantreiben?
Ein Tagungsbericht wurde im DPV 1999 als Buch veröffentlicht:
„'Gesundheit für alle
im 21. Jahrhundert' - Ziele der Weltgesundheitsorganisation mit psychologischen
Perspektiven erreichen".
Folgende Inhalte der Tagung werden nachfolgend weiter ausgeführt:
Perspektiven der Erneuerung für die Strategie "Gesundheit für alle"
Nachfolgend werden wesentliche Inhalte
zum Prozeß der Erneuerung der Zielstrategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“ und wesentliche Zielsetzungen der erneuerten Strategie
wiedergegeben.Die WHO stützt ihre Arbeit auf weitreichende Zukunftsperspektiven, auf die Ableitung von konkretisierenden Zielen mit festgelegten Zeitperspektiven und auf Rechenschaftsberichte über Gesundheitsentwicklungen.
In der europäischen Gesundheitspolitik sind für politisches und soziales Handeln erneuerte Orientierungen notwendig:
- Orientierungen auf Grundwerte wie Chancengleichheit, Solidarität und Tragfähigkeit;
- soziale und ökonomische Orientierungen auf die Erhaltung und Förderung von Gesundheit und gesunden Lebensbedingungen;
- Orientierungen auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen;
- Orientierungen an wissenschaftlichen Ergebnissen.
Ohne solche Erneuerungen würden die Gesundheitsgefahren steigen: größere Ausbreitung von Infektionskrankheiten, weiteres Aufbrechen von Familienstrukturen, eventuell auch mehr Gewaltreaktionen; weiterhin würde das Gesundheitswesen seine Verantwortung für Gesundheit als Gemeingut zugunsten einer Profitorientierung aufgeben, Zugänge zu Gesundheitsleistungen würden beschränkt, Unterschiede im Gesundheitszustand unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen würden zunehmen.
Das WHO-Regionalbüro will zum Erneuerungsprozeß der europäischen Gesundheitspolitik durch eine Konsensbildung mit den europäischen Nationen über erneuerte Zielvorgaben für die „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“ beitragen. Eine aktive Verwirklichung der Strategie „Gesundheit für alle“ und eine entsprechende Ausrichtung der gesellschaftlichen Bedingungen auf die Erhaltung und Förderung von Gesundheit ist Aufgabe aller europäischen Nationen, aller nationalen und internationalen politischen Sektoren sowie aller Organisationen, die im Bereich öffentlicher Gesundheit arbeiten.
Als wichtige Aufgaben im Erneuerungsprozeß sind hervorgehoben:
- Politisches Handeln sollte sich an einem positiven umfassenden Gesundheitsverständnis der WHO orientieren:
„Gesundheit ist ein Grundrecht aller Menschen.“
„Gesundheit ist ein Resultat positiver sozialer und ökonomischer Entwicklung, Ernährung, Erziehung und Kultur.“
„Gesundheit ist ein entscheidender Motor für Entwicklung.“
Die Arbeit für Gesundheit ist eine Investition, während Krankheit Kosten verursacht.
- Gesundheitsförderung sollte ein wichtiges Handlungsprinzip für viele politische Sektoren sein, nicht nur für einen krankheitsorientierten Gesundheitssektor.
- Wichtig ist eine primäre Gesundheitsversorgung durch gemeindeorientierte Gesundheitsdienste mit einer Ausrichtung auf die Grundversorgung.
- „Gesundheit für alle“ als Leitziel erfordert das Streben zu Chancengleichheit und Solidarität in der Gesundheitspolitik; denn Gesundheit ist in höchstem Maße von sozialen Unterschieden abhängig.
- Der strategische Weg besteht aus einer Folge von klaren Zukunftsvisionen, der Ableitung konkretisierender Zielvorgaben mit bestimmten Zeitperspektiven und aus der Verpflichtung, Rechenschaft über zielbezogene Handlungen, Ergebnisse und Hindernisse zu leisten.
Herausforderungen für die psychologische Arbeit
Wie in der Diskussion mit Rüdiger Krech deutlich wurde, beinhaltet die Mitarbeit an gesundheitsorientierten Erneuerungsprozessen viele Herausforderungen an die Psychologie und die Berufstätigkeit von PsychologInnen.
Die Sorge für gesunde Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen, die Sorge für gesundheitsförderliche Bedingungen in den Familien und in den Schulen, die Unterstützung der Familien und der Schulen sind besonders wichtige Aufgaben. Dazu gehört gegenwärtig auch die spezielle Sorge für Kinder und Jugendliche, die aus dem sozialen Netz herausfallen.
Der enorme Anstieg älterer Menschen - von gegenwärtig 20% SeniorInnen über 60 Jahre auf ca. 30% in 30 Jahren - erfordert stärkere, auch psychologisch fundierte Auseinandersetzungen mit ‘gesundem Altern’, z.B. mit Produktivitätsmöglichkeiten älterer Menschen, mit psychologischen Bewältigungsmöglichkeiten von chronischen Erkrankungen und Behinderungen, mit Maßnahmen für eine möglichst lange Erhaltung selbständiger Lebensführung, mit Fragen einer sinnerfüllten Lebensgestaltung, auch in der Konfrontation mit Krankheit, Sterben und Tod.
Die starke Bevorzugung marktwirtschaftlicher Orientierungen in der Gesellschaft und Politik hat zur Zunahme vieler gesellschaftlich bedingter psychosozialer Störungen geführt: mehr Gewalt schon im Kindes- und Jugendalter, vermehrter mentaler Streß mit Versagensängsten und Ängsten vor Arbeitslosigkeit, vermehrte ‘Entwurzelung’ durch erzwungene Wechsel von Lebenswelten.
PsychologInnen sollten mit ihren Kompetenzen gesundheitsorientierte Zukunft stärker aktiv, initiativ, kreativ und offensiv mitgestalten; sie sollten sich dazu selbst Ziele setzen und Schritte zur Zielverwirklichung planen. Jedoch wirken bei PsychologInnen bisher auch bremsende Reaktionshaltungen: Reaktionen auf Menschen, die zu ihnen kommen, auf wahrgenommene Störungen, auf die Vorgaben eines krankheits- und medizinorientierten Gesundheitswesens’.
PsychologInnen können zugunsten gesundheitsorientierter Erneuerungsprozesse in der Gesellschaft in vielen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur im Gesundheitswesen, neue Arbeitsfelder entdecken und kreativ gestalten.
PsychologInnen können ihre Kenntnisse über Kommunikations- und Beziehungsprozesse und über soziale Kompetenzen mehr nutzen und somit aktiver zur Verbesserung von Kommunikations- und Beziehungsprozessen in vielen sozialen Systemen beitragen.
In den vielen Tätigkeitsfeldern einer weit gefächerten Gesundheitsförderung ist für effektive Arbeitsergebnisse interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Anerkennung berufsspezifischer Kompetenzen und Beiträge notwendig. Leider wirken im Gesundheitswesen vielfältige Konkurrenzhaltungen zwischen den Gesundheitsberufen behindernd. PsychologInnen können reflektieren, wie weit sie interdisziplinäre Kooperationen aktiv fördern, wie sehr sie sich als ‘Opfer’ von Konkurrenzhaltungen erleben, auch ob sie Konkurrenzhaltungen verstärken.
Da die WHO-Strategie „Gesundheit für alle“ in der Gesellschaft zu wenig bekannt ist, sind Informationsaktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit für die WHO-Strategie wichtig; PsychologInnen könnten dazu einen Beitrag leisten.
Die aktive Mitarbeit von PsychologInnen an gesundheitsorientierten Erneuerungsprozessen ist allerdings durch die randständige gesellschaftliche Position des Berufsstandes erschwert. Nach Aussagen von Rüdiger Krech haben die Psychologen in Gesundheitsfragen in der Öffentlichkeit noch nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient haben.
Konsequenzen der Tagung für die Konzeptionierung der GFA-Strategie
Nach telefonischen Auskünften hat Rüdiger Krech Anregungen aus der Tagung in die weiteren Erörterungen zur Konzeptionierung der GFA-Strategie eingebracht. Dadurch sind dann psychologische Aspekte zur Bedeutung der Familienerfahrungen für die Entwicklung in der Kindheit und Jugendzeit sowie zur Bedeutung von Arbeitsplatz-Unsicherheit bzw. Angst vor Arbeitslosigkeit und Arbeitsunzufriedenheit stärker in der erneuerten GFA-Strategie berücksichtigt.
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